Eingestellt von Giovanni - Montag, 3. Februar 2014 - Kommentare
Naturkatastrophe Vulkanausbruch, Jahrhundertausbruch 2002
Aufnahme der Raumestation ISS am 30. Oktober 2002 - Bildrechte: NASA - |
Diesen Artikel habe ich 2003 geschrieben nachdem ich 2 Jahre auf Sizilien gelebt habe und wieder zurück nach Deutschland gekommen bin. Ich möchte euch einen kleinen Einblick in mein Leben bieten und von den Tagen berichten als ich Zeuge einer bemerkenswerten Naturkatastrophe geworden bin.
Im Jahr 2001 verließ ich Deutschland auf ungewisse Zeit, es
sollte ca. 1 Jahr werden, ein Jahr auf Sizilien, der Heimat meiner Eltern und
Vorfahren. In Deutschland geboren und aufgewachsen zog es mich im Urlaub immer
nach Sizilien, bis ich irgendwann mehr wollte als nur 6 Wochen Urlaub. Ich
entschloss mich kurz nach den Attentaten vom 11. September nach Sizilien zu
reisen und auch dort zu bleiben. Da mein Opa ein schönes Haus besitzt, und
Platz für mich vorhanden war, realisierte ich mir einen kleinen Traum und
reiste in den Süden. Das nur als kleine Vorgeschichte des eigentlichen Thema „der
Jahrhundertausbruch des Vulkan Ätna und seine Folgen“.
Ich hatte das Glück das ich am ersten Tag des
Jahrhundertausbruchs, es war der 27. Oktober 2002 an der Ostküste gewesen bin, zu dieser Zeit
pendelte ich oft zwischen Trapani und Catania und meine Abreise stand kurz
bevor. Mein Nachbar liebte das Angeln so
sehr wie ich und so sind wir des Öfteren gemeinsam sonntags losgezogen um zu
angeln. Im Herbst zieht es viele Fischarten näher an die Küste und so
beschlossen wir ganz in der Nähe am Hafen von Catania ein paar Stunden zu
angeln. Morgens so gegen 5 Uhr hörte man plötzlich immer lauter werdendes
Brummen, das Geräusch war vom Vulkan Ätna, aber sehr dumpf, mein Nachbar sagte
das der Berg wohl schlecht gegessen habe und eine Magenverstimmung hätte. Tja
am Meer lässt sich sowas auch gut sagen, solange ein Sizilianer auf der
sicheren Seite steht, verlässt ihn auch nie sein Humor, doch das sollte sich an
diesem Morgen noch ändern. In den letzten
Wochen kam es immer wieder zu seismischen Bewegungen auf ganz Sizilien, aber wirklich ernst hat das
keiner genommen. Man redet einige Tage mit den Nachbarn darüber und gut war.
Erst ein paar Wochen vorher hatte es starke Erdbeben in Palermo gegeben und der
Ätna brummte auch schon so ein paar Wochen etwas kräftiger als sonst. Mich
interessierte der Vulkan schon seit meiner Kindheit und so war ich immer auf der Lauer um neues zu
erfahren.
Es wurde 6 Uhr und langsam ging die Sonne auf, ich erblickte
einen enormen schwarzen Streifen am Himmel. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.
Sofort stand ich auf und versuchte einen Blick auf den Vulkan zu werfen und
musste dazu auch mein Angelplatz verlassen. Mein Nachbar hielt da gar nichts
von, der lässt sich beim Angeln ungern ablenken, aber meine Neugier lies mir
keine Ruhe. Ich wollte ergründen was es mit der schwarzen Wolke auf sich hatte,
ein Waldbrand vermutete ich, aber als ich dann den Ätna erblickte war mir das
Ausmaß dieser Eruption schlagartig bewusst. Ich konnte es nicht fassen, eine
enorme Wolke umnebelte die gesamte Kuppel, mehrere Kilometer dick der Nebel den
ich dort zu sehen bekam. Durch den Wind wurden enorme Asche Mengen in die Luft
getragen und bewegten sich in Südöstlicher Richtung an uns vorbei.
Ich berichtete es schnell meinem Nachbarn der dann endlich
auch aufstand und sich das ganze aus der Ferne anschaute. Minchia... sagte er
und das mag schon was heißen wenn er solch ein Wort in den Mund nimmt, na ja
noch fand ich es lustig, aber dann sagte er das wir schnell nachhause müssten,
das sehe gar nicht gut aus. So wurde aus dem gelassenen Signore Orazio, ein
hektischer Rentner der schnell sein Zuhause aufsuchen wollte. Dazu sei gesagt dass
wir beide in Tremestieri Etneo wohnten, einem kleinen Dorf in der Nähe von
Trecastagni und Nicolosi an den Hängen des Vulkans auf ca. 500 Meter Höhe, also
schon etwas näher am Vulkan Ätna als die Küstenstadt Catania.
Für mich war es der größte Vulkanausbruch den ich bis dato
erleben durfte, ein paar kleine hatte ich bereits gesehen, die ersten Aufnahmen
von mir entstanden 1995, aber so ein Anblick war enorm und mit Worten kaum zu
beschreiben. Wir packten unsere Angelsachen und hatten nur noch den Gedanken
schnell nachhause zu kommen und nach dem Rechten zu schauen. Bereits auf dem Weg Nachhause bemerkten wir die
Unruhe die bereits ausgebrochen war und umso näher wir unserem Zuhause kamen
desto dunkler wurde es. Bereits auf halber Strecke kreuzten wir die Aschewolke
und der Ascheregen fing an auf uns nieder zu prasseln. Wer jetzt denkt das es
sich um Pottasche oder der gleich gehandelt
hat den muss ich enttäuschen, in diesem Fall war es Vulkansand und keine
Asche mehr. Schon bald konnte man vor lauter Staub und Sand nichts mehr
erkennen, um zu atmen mussten die Menschen auf der Straße Tücher vor den Mund
nehmen. Viele hielten sich die Hand über die Augenbrauen damit der Sand nicht
in die Augen geriet. Chaos sag ich euch, die Dunkelheit am Tage da die Sonne
nicht durch die enorme Aschewolke hindurchscheinen konnte und um so höher wir
kamen desto größer wurde das was auf uns herab viel, der Sand wurde zu kleinen
luftigen Vulkansteinen. Durch die fahrenden Autos und den herrschenden Wind
wurde dieser feine bis grobe Sand ständig umhergewirbelt und innerhalb
kürzester Zeit hatte man den Sand überall dort wo man es sich nur vorstellen
kann. Von den Haaren ganz zu schweigen setzte sich der Sand in allem fest was
nicht hermetisch dicht war.
Als wir dann endlich Daheim angekommen waren erwarteten uns
auch schon die anderen Nachbarn und Familienangehörige. Alle standen wir da und
konnten kaum etwas sehen da Unmengen an Sand auf uns nieder prasselten, es
blieb nur noch die Flucht in die Häuser. Schnell schaltete ich den Fernseher
ein, auf allen Sendern zeigte man den Vulkanausbruch und die enorme Aschewolke
die sich in Richtung Arabische Emirate bewegte. In den Nachrichten wurde sie
Situation auch mit Luftaufnahmen geschildert die das Ausmaß natürlich
verdeutlichten, wer mitten in der Wolke hängt bekommt von der Größe nicht viel
mit, man sitzt sozusagen im Dunkeln. Nach wenigen Stunden erreichten die Lavaströme
die Bergstation Piano Provenzano auf der Nordostseite des Vulkan Ätna und
zerstörte die gesamte Anlage, 2 Hotels und die gesamten Souvenirhütten die dort
standen.In den Abendstunden erreichte die Vulkanasche die Arabischen Emirate
und legte eine Strecke von 6000 Kilometern zurück. Catania und die umliegenden Städte wurden in
den Folgetagen völlig zugeschüttet. Kaum vorstellbar wie viel Material aus dem
Ätna geschleudert wurde.
Der Flughafen in Catania verabschiedete sich auch recht
schnell und alles wurde nach Palermo umgeleitet. Für mich kam das sehr
ungelegen da ich kurz vor der Abreise stand und wieder nach Deutschland wollte.
Nachdem ich schön länger als 1 Jahr auf Sizilien war wollte ich wieder Heim. Es
sollte aber von Catania aus sein, da bin ich gelandet und von dort wollte ich
auch wieder die Insel verlassen. Also
beschloss ich noch ein wenig länger zu bleiben.
Jeden Tag musste die Einfahrt so gut es ging gereinigt
werden, aber es wurde immer schlimmer, der Staub und die Asche wurden durch
Winde immer wieder zu uns getragen. Jeder Tag an dem der Wind mal anders wehte
und der Sand nicht auf uns hernieder viel wurde regelrecht gefeiert. Die
Reinigungsarbeiten wurden zu einem regelrechten Fulltimejob, jeden Morgen
erwartete uns der schwarze Teppich aus Vulkansand der auf allem lag das sich im
Freien befand. Anfänglich sagte ich meinem Opa dass wir alles in den Garten
werfen sollten, da der Sand viele wichtige Mineralien enthält und guter Dünger ist.
Doch in den folgenden Wochen ergossen sich so viele Tonnen über uns das wir vor
unserem Grundstück einen ca. 2,5 Meter hohen und auch breiten Berg Vulkansand
anhäuften. Neben dem Berg aus Vulkansand lagen dann ca. 1,5 Tonnen die ich mit
meinem Bruder fein säuberlich in Säcke gepackt hatte weil wir ein rasches Ende
der Aktivitäten erwarteten und die Asche für den Garten nutzen wollten.
Es ging aber noch Monate so weiter und der Zustand war
unbeschreiblich. Masken wurden gegen den Staub verteilt nachdem man feststellte
das der Staub aus kleinen Kristallen und Steinchen besteht die so hart sind,
das sie selbst Glas schneiden. Lungenschäden sowie Hornhaut-Verletzungen waren
die Folgen. Besonders ältere Menschen die unter Asthma litten hatten es in
diesen Monaten schwer. Kaum etwas wurde vom Staat getan, das muss hier gesagt
werden. Nur 10.000 Masken wurden anfänglich in Catania verteilt, dabei waren
wir hunderttausende Betroffene. Masken für alle gab es erst nach über einem
Monat Dauerascheregen und aufgeklärt hat uns keiner ob der Vulkansand schädlich
gewesen ist für unsere Lungen. Ich würde sagen dass ca. 5 % der betroffenen
Einwohner Masken getragen haben, vielen waren die Masken einfach zu lästig, Sonnenbrillen dagegen hatte fast jeder auf der
Nase.
Sizilien wurde vom italienischen Staat schnell vergessen
nachdem am 31.10.2002 ein schweres Erdbeben die Region Molise erschütterte und
mehrere Menschenleben forderte. Kurz zuvor wurde die sizilianische Ortschaft
Santa Venerina, an den Hängen des Vulkan Ätna, durch ein Erdbeben schwer
beschädigt, aber die Medien interessierten sich nicht mehr für den Vulkan und
berichteten nur noch vom schlimmen Erdbeben in Molise. Durch die vielen toten
Kinder berichteten die Nachrichtensender von nun an nur noch über diese Region
da die Schäden dort auch größer gewesen sind. Wo mehr Dramatik herrscht, findet
sich auch 80% der Presse wieder. So wurden dort auch schnell Gelder gewilligt
die den Wiederaufbau sicherten, doch Santa Venerina auf Sizilien war kein Thema
mehr und Gelder flossen auch keine nach Sizilien.
Auf der
www.europarl.eu.int/meetdocs/committees/budg/20030910/431000de.pdf konnte man
sehen wieviel Gelder für die Naturkatastrophe von der europäischen Union
bereitgestellt wurden. Es handelte sich um über 800 Millionen Euro von denen
gefühlt kein Cent die betroffenen Bürger erreicht haben. Catania wurde
regelrecht begraben und der Staat hat nur zugeschaut und nichts getan. Ich war
schwer enttäuscht vom italienischen Staat, alles haben wir alleine geschafft
und mit Hilfe der Familie und der Nachbarn. Der Staat hat nicht mal die
Sandberge vor unseren Türen entfernt. Die Steuern für die Müllbeseitigung
jedoch um 100% erhöht. Gereinigt wurde dann auch nur in Catania, wir in
Tremestieri Etneo zum Beispiel durften gut zahlen, geholfen wurde uns dort
nicht. Alle Straßen wurden von den Bewohnern selbst gereinigt.
Es wurde immer schlimmer, die Regenrinnen füllten sich immer
wieder mit Vulkansand und verstopften nach einigen Wochen alle Abflussrohre und
verhinderten so das Wasser abfließen konnte. Wir mussten auf die Dächer und die
Regenrinnen reinigen. Es war Mitte November und ungewöhnlich kalt für diese
Jahreszeit, bei 5 Grad, Wind und Ascheregen war das Reinigen der Regenrinnen
wahrlich mühselig und ungemütlich. Der Vulkansand wurde durch den Regen der Vortage
so hart wie Erde, fast schon eine feste Masse. Aus diesem Klettersport wurde
eine periodische zwei Wochen Aufgabe, regelmäßig musste ich auf das Dach
steigen und den Vulkansand entfernen. Wer länger wartete riskierte das ihm die
gesamte Konstruktion irgendwann über den Kopf zusammen viel. Das Gewicht der
Asche ist größer als man denken mag. So habe ich eine 1,5 Liter Flasche mit
diesem Sand gefüllt und sie hat über 2,2 Kilo gewogen. Das Material besaß eine
extreme Dichte, allein der Sand aus der Regenrinne war ca. 1 Tonne schwer,
soviel sammelte sich alle 2 Wochen an. Durch die leichten Erdbeben konnte man
kein Risiko eingehen und musste das Gewicht auf den Dächern so gering wie
möglich halten.
Nach knapp drei Monaten beruhigte sich der Vulkan Ätna,
alles stabilisierte sich und auch der Flughafen in Catania öffnete wieder seine
Pforten und konnte angeflogen werden. Zum Schluss bin ich 4 Monate länger auf
Sizilien geblieben als ich eigentlich wollte, vier Monate die von einem
Vulkanausbruch und einer Naturkatastrophe geprägt wurden die mich dazu bewegt
haben mein Erlebnis festzuhalten. Meine Großeltern bedankten sich innig für die
Unterstützung die ich ihnen in diesen Monaten zuteil werden ließ, aber für mich war das selbstverständlich, wie
hätte ich meine Großeltern alleine lassen können mit dem ganzen Sand den es zu
beseitigen galt, unvorstellbar, außerdem konnte ich mir dieses Schauspiel ja
nicht entgehen lassen :).
Der Tag meiner Abreise näherte sich, es war der 01.02.03, was
für ein Datum oder? Ich landete in Düsseldorf und war auch froh wieder
„Zuhause“ zu sein, was nicht heißen soll das meine Trauer Sizilien verlassen zu
haben gering gewesen ist, im Gegenteil, denn schnell bemerkte ich was ich denn
da verlassen hatte. Die ersten Wochen vielen mir sehr schwer, aus meiner Trauer
entstand diese Webseite auf der ich ein wenig Sizilien festhalten wollte wie
ich es kennengelernt habe, fern von Klischees und Mafia. Sie diente mir als Mittel zum Zweck das
erlebte zu verarbeiten und euch ein wenig Sizilien zu zeigen wie ich es erlebt
habe. Nach ein paar Wochen war alles wieder beim alten und ich fand auch wieder
gefallen an Deutschland, es wurde wärmer und der kalte Winter war endlich
vorbei. Geblieben ist ein Funken in meinem Herzen der darauf wartet wie ein
Vulkan auszubrechen, ein Stück Sizilien das mich gelegentlich ruft und mich
daran erinnert wie wundervoll die Zeit auf dieser Insel trotz einer Naturkatastrophe gewesen ist.
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